Folgen des Migranten-Zustroms "Asyl-Notbremse": Mehrere Bundesländer ziehen Reißleine bei Flüchtlingsverteilung

FOCUS-Online-Reporter Göran Schattauer

Donnerstag, 21.10.2021, 13:35

Die Verteilung von Flüchtlingen innerhalb Deutschlands ist gesetzlich geregelt. Demnach muss jedes Bundesland eine bestimmte Quote von Asylbewerbern aufnehmen. Doch nach Recherchen von FOCUS Online gelten derzeit für mehrere Länder Ausnahmeregeln. Sie haben sich für Zuteilungen sperren lassen - weil sie selbst überlastet sind. dpa Die Flüchtlings-Erstaufnahme in Eisenhüttenstadt (Brandenburg).

Der anhaltende Zustrom von Migranten, die über die polnische Grenze nach Deutschland kommen, führt zu einer teilweisen Überlastung von Asylbewerber-Unterkünften in den Bundesländern. Um die Lage dennoch unter Kontrolle zu behalten, haben einige Länder nun eine Art "Notbremse" gezogen und im bundesweiten Verteil-System für Flüchtlinge eine Ausnahme-Regelung geltend gemacht.

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Konkret bedeutet das, dass diese Länder derzeit keine Asylbewerber aus anderen Bundesländern zugeteilt bekommen dürfen, selbst wenn sie gesetzlich dazu verpflichtet sind. Entsprechende Recherchen von FOCUS Online hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) jetzt bestätigt. Demnach haben sich aktuell zehn Bundesländer für die Zuteilung von Migranten aus anderen Bundesländern sperren lassen.

Notbremse: Ausnahmeregeln bei Verteilung von Flüchtlingen

Normalerweise werden alle in Deutschland ankommenden Asylsuchenden auf die 16 Bundesländer verteilt - über das beim Bamf angesiedelte Quotensystem EASY ("Erstverteilung von Asylbegehrenden"). Maßgebend dabei ist der sogenannte "Königsteiner Schlüssel". Demnach muss beispielsweise Sachsen 4,98 Prozent der Asylsuchenden aufnehmen, Bayern 15,56 Prozent und Hessen 7,43 Prozent. Mit dem System soll eine gerechte Verteilung auf die Länder sichergestellt werden.

Auf Anfrage von FOCUS Online bestätigte ein Bamf-Sprecher, dass die Bundesländer "keine Wahlmöglichkeit in Bezug auf die Teilnahme am Verteilmechanismus bzw. auf das Ausmaß der Erfüllung der Quoten nach dem Königsteiner Schlüssel" haben. Allerdings könnten einzelne Länder "zeitweise für Verteilentscheidungen aus anderen Ländern gesperrt werden", so der Sprecher.

Bamf: "Kurzfristige Überlastung" von Unterkünften

Dieser Mechanismus werde genutzt, um auf "Sondersituationen" in einzelnen Aufnahmeeinrichtungen reagieren zu können. Dazu zählten etwa Quarantäne-Fälle wegen Corona oder eine "kurzfristige Überlastung". Die betroffenen Bundesländer müssten dann nur noch jene Ausländer aufnehmen, die sich direkt bei ihnen melden und Asyl beantragen.

Die für "Sondersituationen" gedachte Regel wird nach Informationen von FOCUS Online aktuell von zehn Bundesländern in Anspruch genommen, also fast zwei Drittel aller Bundesländer. Das Bamf bestätigte die Zahl, wollte aber nicht sagen, um welche Länder es sich konkret handelt.

dpa Asylsuchende in der Erstaufnahme Eisenhüttenstadt (Brandenburg).

Lediglich für Brandenburg machte die Behörde eine Ausnahme. Aufgrund des Migranten-Zustroms über die polnisch-deutsche Grenze sei das Land "derzeit von der Zuteilung Asylsuchender aus anderen Bundesländern ausgenommen", erklärte der Bamf-Sprecher. "Im Gegenzug werden Geflüchtete aus Brandenburg auf andere Bundesländer verteilt." Er ergänzte: "Unter den Bundesländern, die aktuell von einer Verteilung ausgenommen sind, gibt es auch Länder, die dauerhaft keine Zugänge aus anderen Bundesländern erhalten sollen, da dort erfahrungsgemäß mehr Asylsuchende ankommen als das entsprechende Land nach dem Königsteiner Schlüssel aufnehmen müsste."

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"Sperren" in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen

FOCUS-Online-Recherchen ergaben, dass unter anderem Mecklenburg-Vorpommern die "Notbremse" gezogen hat, um zumindest vorübergehend keine Asylbewerber aus anderen Bundesländern aufnehmen zu müssen.

"Um grundsätzlich aufnahmefähig zu bleiben, hat das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern für die letzten beiden Wochenenden jeweils befristet für einen Zeitraum von 3 bis 4 Tagen die Erstaufnahmeeinrichtung im EASY-System sperren lassen, so dass für diesen Zeitraum zumindest Zuweisungen aus anderen Bundesländern vermieden werden konnten", so Marion Schlender, Sprecherin des Innenministeriums in Schwerin: "Diese Maßnahme diente dem Ziel, die ankommenden Direktzugänge - insbesondere auch die durch die Bundespolizei von der deutsch-polnischen Grenze weitergeleiteten Personen - aufnehmen und unterbringen zu können."

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Und auch die Behörden in Sachsen haben reagiert. "Die möglichen Sperren, die zumindest zu einer Reduzierung von Weiterleitungen aus anderen Bundesländern nach Sachsen führen, wurden gesetzt", sagte Jana Klein von der Landespolizeidirektion Sachsen zu FOCUS Online.

"Diese Sperren ändern allerdings nichts daran, dass die im sächsischen Bereich der Grenze zu Polen aufgegriffenen Personen durch die Bundespolizei in eine sächsische Aufnahmeeinrichtung weitergeleitet werden und dort zunächst unterzubringen und zu registrieren sind und die Gesundheitsuntersuchung durchzuführen ist", so Klein. Erst danach sei "eine Weiterleitung und damit Entlastung des Freistaats Sachsen möglich"


Quelle: Reißleine bei Flüchtlingsverteilung - FOCUS Online